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Vortrag:     (als Artikel abgedruckt in “Geist und Gegenwart”)

1. In der Tat: Jeder Mensch tut etwas, auch wenn er nichts tut. Die vollbrachte Tat hat einen Zusammenhang; wird dieser nur auf die Tat bezogen, nennen wir ihn eine Handlung. Sie hat einen causalen, situativen und finalen Aspekt: Es ging ihr etwas unmittelbar voraus (causal ), sie äußert sich selbst in der Tat (situativ) und weist über sich hinaus (final). Eine Handlung kann geschehen sein, noch dabei sein, zu geschehen, oder geplant werden. Wir richten unser Augenmerk auf den Sachverhalt einer Handlung, die bereits geschehen ist.

Was auch immer Menschen tun (oder eben gerade nicht tun), ist Ausdruck ihrer Persönlichkeit, Folge einer persönlichen Entscheidung. In ihrem Tun ereignen sich Folgen ihrer unbewussten und bewussten Intentionen. Jede Tat ist sichtbar und lässt sich konkret beschreiben (Deskription). Sie ist aus Absicht vollbracht worden und hat ihren unmittelbaren Tatzusammenhang, die Handlung.

Während es leicht scheint, eine Tat durch eine Deskription auch geistig zu erfassen, unterliegt die Beschreibung einer Handlung weiteren Bedingungen und ist dann schwerer geistig zu erfassen, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden. Einer Tat einen Namen zu geben, der ihr zukommt, hängt also davon ab, ob wir ihren Zusammenhang, mindestens die Handlung selbst, erfaßt haben.

Schauen wir auf unser Tun: Wie leicht Menschen sich mit ihrem Tun identifizieren können (als seien sie das, was sie tun) und damit Person und Sache identifizieren, die Sicht auf ihre Person verengen und so sich selbst in der Wahrnehmung nur begrenzt erkennen können, ist bekannt und als Moralismus benannt. Diese Verkürzung übersieht eben auch den Tatzusammenhang, nimmt die Tat bereits als Handlung. Der Satz "Ich habe ja nichts getan" enttarnt die Reduktion, wenn wir ihn in entsprechende Sachverhalte einfügen, die den Tatzusammenhang offenbaren, wie z.B. beim Sachverhalt der unterlassenen Hilfeleistung.

Der Moralismus lässt sich die Möglichkeit offen, über eine Tat, die sich hinterher als Fehler herausstellt, zu sagen: "Das habe ich nicht gewollt" oder "Daran habe ich nicht gedacht". Was vollzieht sich bei der Identifizierung von Tat und Täter?

Bei der Beschreibung einer Tat wird diese angeschaut, als "existiere" sie, und zwar außerhalb dessen, der sie beschreibt. Sie existiert ganz plötzlich. Gefallen die Folgen einer Tat nicht, existiert diese Tat ganz plötzlich ohne Entstehungszusammenhang. Die Lücke muss geschlossen werden: Die "ungefällige" Tat bekommt einen Täter zugewiesen: einen konkreten anderen Täter (der/die böse andere) oder einen abstrakten Täter (die Vergeßlichkeit, das Unwissen, das Nichtgedachthaben, die Unaufmerksamkeit u.ä.).

Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, die Tat nur ausschnitthaft zu beschreiben, nur einen Teil von ihr in die Deskription zu bringen. Wer nun dies für das Ganze hält, sieht nur noch den Ausschnitt (der Tat) eines Ausschnittes (der Handlung) eines Ausschnittes (Zusammenhang von Handlung und ihren Relationen). Unser Geist nimmt das zwar hin, es entsteht jedoch ein Vakuum durch die Lückenhaftigkeit, das wie ein Sog wirkt: andere Informationen fließen hinein, die "zufälligerweise" viel besser gefallen. Das nun entstandene Gebilde entspricht zwar nun gar nicht mehr der Wirklichkeit; als gewirktes ist es jedoch für den Wirkenden "wirklich". Die Übermacht der Vor-stellung ver-stellt den Blick auf die Wirklichkeit, ein realistischer Zugang zum Verständnis einer Tat ist autonom verstellt durch eine Energiemenge, die größer ist als sie zur Deskription nötig gewesen wäre. Diese harte Arbeit wiegt schwer und will anerkannt werden.

Verweigert jedoch jemand die Zustimmung zur Vorstellung dadurch, dass er von der Deskription ausgeht, reden beide plötzlich von zwei völlig unterschiedlichen Ereignissen, selbst wenn sie das gleiche Ereignis meinen, bei dem sie beide anwesend gewesen sind.

Wenn Menschen wissen, dass sie in der Lage ist, Person und Sache zu verwechseln, also nach Identifizierung sich für die Sache zu halten und sich somit zur Sache (zur Ware) zu "machen", so reicht dieses Wissen allein nicht aus, um diese Verwechslung zu verhindern: Um zu einer Deskription zu kommen, müssen wir (logischerweise) das Wissen anwenden! Wir müssen (muss als logische Folge der Entscheidung, zu einer Deskription gelangen zu wollen) das Wissen anwenden, dass keine Tat, keine Handlung uns in unserer individuellen Einzigartigkeit repräsentieren kann. Wir beschreiben einen Ausschnitt, an der Tat sind uns bewusste und uns unbewusste Faktoren beteiligt, die selbst wiederum nach Erfassen noch immer uns nicht hundertprozentig repräsentieren können.

Wenn wir dieses Wissen nicht anwenden, gelangen wir nicht zu einer Deskription. Wir gelangen zu einer Idee, wie die Wirklichkeit zu sein habe, die die genannte Vor-stellung inszeniert. Eine Verarbeitung von Erfahrung, von Umgangsfolgen und von Entscheidungszusammenhängen ist nicht möglich, wir verstehen uns selbst nicht. Und doch meinen wir, uns sehr gut zu verstehen, viel besser als ein Gegenüber, das alles anders sieht. Dann beginnt die Verteidigung, die Argumente sucht, weshalb eben das Gegenüber alles falsch sieht: Dabei handelt es sich immer um einen Angriff (mindestens gegen den "gesunden" Menschenverstand).

2. Haben wir erfaßt, dass die Beschreibung einer Tat lediglich eine Benennung ist, die unserer Vor-stellung entspricht, wissen wir, dass wir die zur Tat gehörige Handlung beschreiben müssen. Und bei eben dieser Beschreibung gilt es, die Vor-stellung, ja die Selbst-Vor-stellung in den Blick zu bekommen, indem wir Wissen anwenden.

Menschen merken, dass in ihnen vor einer Tat allerlei geschieht. Die Erinnerung daran hat jedoch Lücken, die in jenem Satz deutlich werden "Das habe ich ganz spontan getan". Dieser Satz wird in der Regel als Entschuldung für ganz plötzlich auftretenden Gedächtnisverlust akzeptiert, da ihn jeder "gut" gebrauchen kann.

Falls es jedoch diese sogenannte Spontaneität doch geben sollte, kann sie gehirnphysiologisch nur Produkt einer Frontalhirnaktivität (des Unterbewussten des Geistes) sein und weist auf die Lebenserfahrung der ersten acht Jahre nach der Geburt - Verwundungserfahrungen und aversives Lerngut inklusive. Auch das wissen wir. Doch wir wussten dies noch nicht in den ersten acht Altersjahren, so dass das erweiterte Wissen nicht in jene Erfahrungen paßt, die unsere Selbst-Vorstellung geprägt haben. Hier liegt die Erklärung dafür, dass neu erworbenes Wissen, vor allem jenes aus einer Analyse, sich nicht "spontan" meldet und uns deshalb nicht aus der Verantwortung der bewussten und aktiven Anwendung des verbliebenen gesunden Menschenverstandes entlassen kann.

Die Nichtanwendung des neu erworbenen Wissens führt zur Verrätselung: Der Mensch bleibt sich ein Rätsel, indem er nur lückenhaft geistig Erfaßbares zulässt. Die Gehirnphysiologie lehrt uns, weshalb das möglich ist: In den unterbewussten Arealen des Geistes (im Frontalhirn) befinden sich Informationen darüber, wann und wie wir eigene Anteile zu unterdrücken haben. Anteile, die genuin zu uns, also zu unserem Selbst gehören. Die in Verwundungserfahrungen erlernte Unterdrückung führt dazu, dass diese genuinen Anteile unseres Selbst uns fremd bleiben; sie führt zur Verrätselung. Da diese Informationen sich in uns befinden, wähnen wir sie als eigene, dazu noch als die einzig wahren.

Was verstehen wir denn dann nach einer perinatalen Verwundung (VA), nach einer VA in den ersten etwa acht Monaten nach der Geburt, unter Selbstvorstellung, wenn die Beziehung zum eigenen Selbst mindestens lückenhaft ist? Unsere Selbstvorstellung ist ein Gebilde, in dem sich Folgen von VERWUNDUNGS-Ereignissen abgebildet haben. Sie ist Produkt des Kompromisses zwischen "leben" und einem die VERWUNDUNG "überleben" Wollen. Als dieses Produkt hat sie vermittelt zwischen draußen und drinnen und auch zwischen drinnen und draußen. Als Produkt eines oder eben auch vieler Kompromisse hat diese Selbstvorstellung medialen Charakter erlangt: Sie mediiert und entscheidet über die Verrätselung.

Diese Selbst-Vorstellung ist nicht die Vorstellung unseres Selbst; sie ist die Vorstellung darüber, wie wir uns anzuschauen gehabt haben, um in unserer Umgebung überleben zu können. Und diese Vorstellung ist die Internalisierung der Vorstellungen außerhalb von uns in einer Zeit, in der das Wissen um diese Vorgänge unser "leben" vorzeitig beendet hätte. Das heißt: Keine Selbstvorstellung ist genetisch bedingt, da sonst kein Mensch überleben könnte. Jede Selbstvorstellung ist erworben und mit Irrtümern durchsetzt.

Jeder Verwundungszusammenhang hat seine eigene Systematik, so dass er auf den Begriff zu bringen ist. Deshalb gibt es jene Bilder, die ich "Lebensstilbilder" nenne. Sie identifizieren eine VERWUNDUNG und bringen die darin erworbene Selbstvorstellung zum Ausdruck. Sie sind kein Etikett, keine Wertungen und schon gar nicht zur Verunglimpfung von Menschen zu gebrauchen, da (eine VERWUNDUNG und damit) ein Lebensstilbild nicht Produkt des Selbst, sondern Ergebnis einer VERWUNDUNGS-Erfahrung ist.

In der Selbstvorstellung schauen wir uns so an, wie unsere Eltern uns tatsächlich angeschaut und eingeschätzt haben. Allein die Tatsache, dass auch Eltern Menschen und zum Irrtum fähig sind, müsste deutlich machen, dass deshalb in jeder Selbstvorstellung Irrtümer enthalten sind. Und eben diese Irrtümer werden für wahr gehalten, sie bestimmen die Auswahl beim Zustandekommen einer Beschreibung, die dann eine Vorschrift oder eben auch ein Vorbild ist (eine Präskription), jedoch keine Deskription.

Wird dieses Wissen in schwierigen Situationen nicht hinzugenommen zur Beschreibung einer Handlung , wird also die Selbstvorstellung nicht zusammen mit der Beschreibung einer Handlung erfaßt, kann die Handlung nur noch über die Form einer Linie begriffen werden, die Dimension des Raumes einer Handlung geht verloren. Wir können dann die Handlung nur noch über die Form erfassen, die in einer Tat konkret anschaubar wird - weil: der Inhalt wird unterdrückt.

Dadurch gerät der Mensch sofort in Sorge um seine Richtigkeit, wenn er in die Situation gerät, in der eine eigene Tat als Problem verstanden wird. Die Unterdrückung des Inhaltes hat zur Folge, dass eine Herausforderung (zum Denken, zum Erkennen, zur Erweiterung von Wissen) als Problem denunziert und dann auch als solches gehandhabt wird. Die Unterdrückung führt zu dem schon erwähnten Vakuum, das mit seiner Sorgwirkung im unwillkürlichen Nervensystem (im Neurovegetativum) den dynamischen Teil (den Sympathikus) aktiviert und Einfluß auf die hormonellen Mischungsverhältnisse über das TRO (Hypthalamus plus Hypophyse) nimmt. Das ist der physiologische Inhalt der Sorge, der an die Stelle des unterdrückten Inhaltes gelangt und als Informationsersatz für die wahre Information gehalten wird.

Die Sorge (unsinnigerweise häufig Angst genannt) wird vom Körper als Notstand gedeutet. Er setzt Aktivitäten ein, um die Ver-Sorgungs-Lage wiederherzustellen. In der Sorge reproduzieren wir eine VA-Erfahrung, d.h. wir schalten nach Unterdrückung des wirklichen Inhaltes etwas hinzu, was es gerade so in der Gegenwart nicht gegeben hat. Es wird aus dem Fundus des Bisjetzigen hervorgeholt und reicht bis in die früheste Kindheit als darin gemachte Erfahrung zurück: Wir tun dann so, als wären wir noch immer so alt wie zu dem Zeitpunkt, als wir jene Erfahrung gemacht haben.

In der Regel reichen die VERWUNDUNGS-Assoziationen bis in die ersten Monate nach der Geburt zurück, also in die vorsprachliche Zeit. Wir müssen jene Ereignisse heute mit dem richtigen Namen versehen, um sie im Denken angemessen zu erfassen und darüber zu neuen Handlungsmöglichkeiten zu kommen.

Wird diese geistige Erfassung unterlassen, wird es immer Beschreibungslücken geben, bewusst oder unterbewusst führt die Verrätselung zur Begrenzung der Selbstwahrnehmung, zur Abkehr von der Erfassung der Gefügtheit von Umgang. Diese teilweise Wahrnehmung begrenzt die Sicht auf die Menschlichkeit des Menschen derart, dass nicht nur die "ungefälligen" Taten, sondern auch die wirklichen Möglichkeiten des Menschen und damit seine Schönheit nicht mehr als eigene Wirklichkeit begriffen werden kann. Eine geglückte Begegnung mit sich selbst wird dadurch verhindert, per effectum auch mit anderen.

Sorge lässt Menschen außer Atem geraten, blockiert das Denken, bis wir nicht mehr weiter wissen. Diese Umstände werden dann wieder negativ als unzulässige Begrenzung gedeutet, deren Ursachen irrtümlich draußen, außerhalb des sich sorgenden Menschen, gesucht werden. Die Suche nach der Ursache wird in die Schuldfrage verwandelt, Sinnerfahrung ausgeschlossen, das eigene Nichtrichtigsein vorausgesetzt und Entlastung gesucht.

Die Leugnung der Eigenbeteiligung führt zur Verdrängung des Wissens darum. In die entstandene Lücke wird das fatalistische Etikett "schon wieder" hineingedacht: Die Lücke wird nicht mehr als Lücke erlebt. Dies kann jedoch gewusst werden! Wer beim "schon wieder" dieses Wissen dazubringt, kann der Verwechslung von Person und Handlung entgehen und wird um mindestens eine Erkenntnis reicher werden bei der Beantwortung der Frage "wie diesmal?". Wer dieses Wissen weglässt, bleibt bei der Idee des Nicht-Richtig-Seins.

3. Diese Idee des Nichtrichtigseins erfordert Entlastung gegenüber der Selbstwertvorstellung: Der Mensch erliegt der Fiktion, als wäre ihm das ohnehin bekannt. Wir können uns bei diesem Sachverhalt auf ein Erziehungsprinzip berufen, das hinlänglich bekannt ist: Kinder seien noch keine Menschen, sie müssten erst zu Menschen erzogen werden. Diese Grundhaltung schlägt sich in Erziehungsstilen nieder und widerfährt dem Kind als stete, unausgesprochene Be-(Ver-!)Urteilung. Hier liegt also der Anknüpfungspunkt, um Gegenwart mit Vergangenheit so zu verbinden, dass eine neue Erfahrung verhindert wird.

Jede Begegnung mit Neuem weckt gerade auch als VERWUNDUNGS-Folge Wachsamkeit. Doch Wachsamkeit ist eine lebensnotwendige innere Möglichkeit. Sie erlaubt uns, uns zu konzentrieren und denken zu können. Wachsamkeit gefährdet niemanden. Schlaflosigkeit ist keine Wachsamkeit am falschen Platz; sie ist entweder unterbewusst gesteuerte Sorge, was bei Kontrollverlustideen (gerade im Schlaf!) geschehen kann, oder Blockade der Regeneration durch bewusst wahrnehmbares sorgenvolles Denken.

Die überdrehte Form der Wachsamkeit, die Neugier, will nachweisen, dass es letztlich doch nichts Neues gibt. Die Bindung an die Fiktion des Altbekannten gibt sich zwar leidend "ach, schon wieder", ist jedoch getarnte Freude über das Verbleibenkönnen im Bisjetzigen, was ja nicht von den Eltern bestraft werden kann.

Neugier und Fatalismus sind zwei Formen der Möglichkeit, Begeisterung über das Verbleiben im Bisjetzigen zu tarnen. Unsere Vorstellung ist eine geschlossene; wer nicht applaudiert, hat sich dagegen geäußert, ist also Feind, und muss draußen bleiben: Wahrheit und ihre Wahrnehmung können wieder aus dem Bewusstsein verbannt werden.

Auf diese Weise werden Verwundungs-(=VA-)Erfahrungen, die von außen in uns gelangt sind, als eigene Schuld gedeutet, VA-Folgen dann als Folgen persönlichen Versagens.

    Der Verdacht schleicht sich ein, als könne die Vorstellung, die eigene VA sei persönliche Schuld und die Verwundungs-Folgen seien Folgen persönlichen Versagens, absichtlich gesteuert werden. Mal ist das Wissen um die VA entlastend, mal ist das Wissen um die VA aus dem Bewusstsein entlassen.

Ein Versagen bedarf der Strafe. Da können sich Menschen allerlei einfallen lassen. Die für den Organismus harmloseste Methode ist das sogenannte "schlechte Gewissen". Sie ist auch die schnellste Methode. Sie kann nach ausreichender Erleidung abgebrochen werden durch geistigen Entschluß. Damit kann sich auch die Berechtigung erarbeitet werden, den gleichen Fehler noch einmal tun zu dürfen, da das Strafmaß ja bekannt ist. Mit Einsicht hat ein "schlechtes Gewissen" nichts zu tun, eher mit einer Ansicht.

Für den Organismus sind jene Strafen gefährlicher, die sich in Körpersymptomen, gar in chronischen Erkrankungen zeigen.

Bei entsprechend frühzeitiger Vater-VA wird die eigene VA sogar als persönlicher, unwiderruflicher Makel gedeutet. Diese Deutungen werden dann zum Anlaß für weitere Verrätselungen, so dass eine klare Beschreibung des eigenen Tuns verhindert wird. Per effectum fasziniert das eigene Chaos in dem Maße, wie die Suche nach der privaten Schuld die befürchtete Vollstreckung meint hinausschieben zu können. Subjektiv ist das Urteil über sich selbst längst gefällt. Es soll nur die Vollstreckung, das Todesurteil als Folge des Entzugs der Versorgung, verzögert werden, was zu den Verzögerungstaktiken und dem Spirations-Syndrom(siehe auch Noosomatik Bd.V 8.7.3.2./S.341) führt, dem "schnellen Brüten", das mit Hilfe des eigenen Organismus eine Atmosphäre verbreitet, die die Lust zur Teilhabe an den Widerfahrnissen von "leben" gänzlich unterdrückt. Die Dynamik wird in die Aktivität des Zweifelns eingebracht. An allem wird gezweifelt, nur nicht am Zweifel selbst, was diese Tätigkeit geistig bereits als zweifelhaft erscheinen lassen könnte, wenn sie nicht gewollt wäre.

Gleichzeitig bedeutet diese Faszination des Dämonischen nicht nur Raum für den " Drachen" in der VA, sondern auch die Möglichkeit, das unterbewusste System geschlossen zu halten, um den liebevollen, lockenden Angeboten von Leben im Sinne der schädigenden Erzieher (sE) widerstehen zu können.

4. Wie sehen die Auswirkungen aus? Ich möchte jetzt den Unterschied beschreiben zwischen einer Mutterschädigung (Mutter-VA) und einer Vaterschädigung (Vater-VA). Es gibt, so lässt sich denken, einen Unterschied zwischen Mann und Frau, obwohl beide, wie bekannt sein dürfte, obwohl beide Menschen sind.

Die Unterschiedenheit macht also nicht eine Wertigkeit aus, um dies noch einmal ganz deutlich zu sagen. Die Unterschiedenheit ist ein Effekt des Mischungsverhältnisses von weiblichem Prinzip und männlichem Prinzip im Menschen.

Eine Mutter kanalisiert und reglementiert die Lebensäußerungen ihres Kindes, bricht sie also nicht ab. Dieser vom Kind zwar als VERWUNDUNG erfahrene Umgang begrenzt die unendlichen und vielfältigen Möglichkeiten eines Kindes und hat hier seinen natürlichen Sinn.

Eine Mutter-VA unmittelbar nach der Geburt eines Kindes hat den wichtigen Sinn, die unendlichen Möglichkeiten eines Kindes zu begrenzen; diese VA ist lebensnotwendig. Denn ohne Grenzerfahrung sind wir nicht in der Lage, dieses "leben" als einen Raum zu erfühlen, in dem wir richtig sind. Ohne Grenzerfahrungen ist kein Mensch in der Lage, Sinnerfahrungen zu machen; geschweige denn, sich überhaupt von Nichtselbstigem unterscheiden zu können. Der Sinn besteht also auch gerade darin, eine biologische Symbiose und damit eine Fixierung auf Abhängigkeit zu verhindern.

Übersteigt jedoch eine Mutter-VA die Grenze dieses Sinns dadurch, dass die Mutter im aversiven Sinne "Lebensspenderin" des Kindes "seinen" will (die biologische Mutterphase also noologisch über die Perinatalzeit hinaus verlängern will), deutet sie die Angewiesenheit des Kindes auf Außenimpulse als willkommenes Gegenüber für ihre eigene Vor-stellung, die den Blick auf die Wirklichkeit des Kindes verstellt.

Für eine Frau, die ein Kind bekommt oder geboren hat, gibt es eine biologisch und physiologisch natürliche "Mutterphase". Sie beginnt mit der geglückten Begegnung von Oozyte und Spermium (auch "Befruchtung" genannt) und endet mit der Perinatalzeit (um den sechsten Monat nach der Geburt des Kindes). Am Ende der Perinatalzeit ist die physiologische, v.a. hormonelle Umorientierung bei der Mutter und beim Kind in Richtung Eigenleben geschehen. Dann kann auch abgestillt werden, wenn kein Versorgungsnotstand da ist (Hungersnot z.B.). Die hormonelle Umorientierung kann verzögert werden durch geistige Entscheidungen. Die Entwicklungsrichtung "Eigenleben" kann ver-rückt werden durch irrtümliche Selbstvorstellungen der Mutter oder auch des Vaters. In jedem Fall ist die Reduzierung auf eine Funktion die Ursache für die Fortsetzung der biologischen Mutterphase in eine von Herrschaftsansprüchen infizierte noologisch beschreibbare Mutterrolle zu suchen.

Oft genug ist die "Produktion" und die sich anschließende "Habe" eines Kindes das einzige, was einer Frau als Eigenleben zugestanden wird. Die Verführung ist naheliegend: wie leicht kann sich eine Frau mit Hilfe ihres Kindes über ihre eigene Reduzierung auf Funktionieren hinwegtrösten! Die Aufrufe zu verlängerter Stillzeit, aus welchen Gründen sie auch immer gegeben werden mögen, -

 

 Männer sagen, dass Kind sei dann besser vor Krebs ge schützt;

    Frauen sagen, das Kind sei ja auch die eigene Leibesfrucht, und: im Muttersein fände eine Frau ihre "vollkommenste" Erfüllung; -

unterstützen diese Reduktion der Frau. In der Regel werden noch weitere Tips gegeben, die die Reduzierung bis zur Symbiose auf Kosten des Kindes zum Ziel haben (z.B. das ständige Tragen eines Säuglings auf dem Mutterleib).

Die Frau, die über die biologische Phase hinausgehend Mutter sein will, verwundet ihr Kind "mehr als nötig", da die Angewiesenheit des Kindes auf Außenimpulse als Abhängigkeit gedeutet wird, die das Kind internalisiert: Männer können "kleine Jungs" spielen, Frauen sich als "mädchenhaft naiv" ausgeben, um so attraktiver zu wirken. Gegebenenfalls können dann auch Verhaltensweisen als Entwicklungsstörungen verwertet ("Ich weiß nicht, woher er/sie das hat"), oder auch als von irgendwelchen Vorfahren geerbt benannt werden.

Ironisch formuliert: nehmen wir die Tatsache ernst, dass eine Frau auch ein Mensch ist, entfällt die romantifizierte Mutteridee. Und: Eine Frau kann ihre eigenen VA-Erfahrungen ernst nehmen, ihre erworbene Selbst-Vorstellung erkennen, damit das Kind sich nicht mit dem dazu passenden Rollenverhalten einpaßt in die kulturelle Tradition des aversiven Bildes von Frau und dies als gegeben übernimmt.

Durch ihre Selbstvorstellung können sich Erzieher/innen die Möglichkeit verstellen, auch vom Kind zu lernen. Die Selbstvorstellung gilt häufig als unumstößlich, wie ein Gesetz. Sie bestimmt dann Vorausurteile gegenüber dem Kind und macht damit Stimmung (sprich Atmosphäre) gegen die genuinen Anteile des Kindes. Jedes Kind repräsentiert eine Einzigartigkeit. Also ist jedes Kind "neu", d.h. keines paßt in die bisherigen Vorstellungen. Weshalb bedroht jedes neugeborene Kind das bisjetzige System der Umgebung in seiner Stabilität.

Erzieher/innen könne also das Neue mit der Idee des Bedrohtseins beantworten und agieren dann auf paranoide Weise gegen das Kind.

 

5. Menschen haben in sich Relationen zu sich selbst. In diesen Relationen zu sich werden sie fähig zu Relationen nach draußen: Gemeinschaft wird als Effekt möglich. Die Fähigkeit zur Angewiesenheit zeigt sich bei Menschen nicht nur bei der Füllung der Zellen in der geistigen Region des Gehirns nach der Geburt, nicht nur in der Fähigkeit, sich füttern lassen zu können, sondern als zentrale Fähigkeit des Annehmens und des Angenommenwerdens. Darüber entsteht Kommunikation dem Inhalte nach, der verstehbar ist. Über den Weg des Verstehens ist Gemeinschaft möglich und gerade dadurch Souveränität! Angewiesensein auf Informationen von außen ist keine Schande, sondern Voraussetzung für Gemeinschaft und Eigenständigkeit. Wird jedoch die menschliche Fähigkeit der Angewiesenheit auf Außenimpulse durch die Mutter-VA in Abhängigkeit verwandelt, erlebt das Kind seine Fähigkeit als Defizit, die Fähigkeit zu Relationen nach draußen wird entscheidend eingeengt.

Eine Frau als Mutter kann die Quelle der natürlichen Versorgung quantifizieren und deshalb mit Versorgungsentzug drohen. Beim Kind wird nun die natürliche Verwundung und die mit ihr sinnvollerweise erlebte Grenze mit der Todesidee angefärbt. Es wird sich den engführenden Reglements und Zwängen der Mutter einpassen. Das weibliche Prinzip einer Mutter macht den Umgang mit dem weiblichen Prinzip bis zur Sorge möglich. Die Hingabe als genuines Gefühl wird dabei von der Mutter abgelehnt, das Kind wandelt diese Energie in bloß nervale Impulse um (Sympathikusaktivität): die Ursache für Sorgephänomene.

Nur eine Vater-VA ist wegen des in ihr wirkenden männlichen Prinzips in der Lage, die von der Mutter begrenzten Bewegungsmöglichkeiten sogar noch mehr zu bremsen, zu statifizieren. Familiär wird diese Statifizierung häufig "Stabilisierung" genannt und als angemessene Verhaltensweise für Männer ausgegeben.

6. Wir merken den Unterschied: Eine Mutter wandelt in der VA um, reglementiert durch Begrenzung, die jedoch noch Raum lässt. Ein Vater agiert in der VA so, dass über die väterliche Verweigerung beim Kind der Raum verschlossen wird durch eine Überbetonung des männlichen Prinzips (nerval: Parasympathikus): seine Angst (als Mantel des Zweifels) beeinflußt seine Wahrnehmung des Kindes. Die Folge dieser Blockade wird über Unruhe, Nervosität, Grübeln oder eben auch Aggression ent-laden.

Ein so verwundender Vater übersieht die kindlichen Lebensäußerungen und fixiert das Kind auf Verhaltensformen, die ihm genehm sind. Die Genehmlichkeit kann dabei noch variieren, was das Kind zusätzlich irritiert: Es muss ständig raten, was denn nun richtig sein könne; es lernt zu zögern und zu zaudern, ggf. unterstützt von dem mütterlichen Satz "Warte, bis dein Vater nach Hause kommt!".

Das hat zur Folge, dass das Kind sich in gleichem Maße übersieht und sich nur an den erlangten Vorstellungen des Vaters und den Normen der Mutter orientiert. Die Familiengemeinschaft ist ein Effekt der gegenseitigen Orientierung an der Not.

Die Selbstdeutung der VERWUNDUNG als persönliche Schuld lässt noch die Fiktion zu, dass durch Verhalten Schuld getilgt werden könne, also Vergangenheit veränderbar sei. Die Selbstdeutung der VA als Makel äußert sich jedoch in ihrer Endgültigkeit als "Sowieso-Fatalismus", der Folge einer Vater-VA ist, in der der Vater das Kind dazu gebracht hat, sozusagen über die eigene "Leiche" zu gehen (und in der Folge auch über andere).

Ich unterscheiden also zwischen zwei Möglichkeiten der Vater-VA. Diejenige, die am tiefsten in die Eigenständigkeit des Kindes eingreift, ist jene, bei der ein Mann meint, Vaterrolle spielen zu müssen, also die biologische Vater-Phase, die -pardon!- relativ kurz ist, nach der Geburt des Kindes zur Geltung bringen will. Ein solcher Mann spielt sich als sinngebende Instanz auf, gleichsam götterähnlich. Damit greift er blockierend in die Fähigkeit zur Sinnerfahrung ein und nimmt dem Kind die Möglichkeit, sich überhaupt in diesem "leben" richtig zu fühlen (und sei es bloß unter den Bedingungen der Mutter). Beim Kind entsteht der "Sowieso-Fatalismus". Die Idee, noch nicht richtig zu sein, wird verwandelt in die Meinung, sowieso nicht richtig zu sein. Die eigene VA wird vom Kind als unveränderlicher Makel gedeutet.

Die andere Vater-VA, bei der der Mann "bloß" desinteressiert am Kinde ist, hält das Kind nicht auf dieser eben skizzierten Stufe fest. Das Kind hat "immerhin" noch die Möglichkeit, über die Schuldfrage ("Weshalb macht er das?") zu einer Illusion zu kommen, als läge es am Kind selbst, als könne braves Unterwerfen irgendwann einmal das Interesse des Vaters wecken.

Beiden VA-Formen ist jedoch gemeinsam, dass über Blockierung der Annahmefähigkeit (nicht dürfen bzw. warten auf Vaters Erlaubnis) die mögliche Lust am "leben" nerval ausgeschaltet werden kann durch Frontalhirneinfluß ("Lust/Unlust-Schalter").

Die entscheidende Schwelle für die Öffnung unserer unterbewussten Systeme ist also jene Blockade des genuinen Gefühls der Gerechtigkeit, mit dem wir die Weite der Widerfahrnisse von "leben" als Raum erfühlen können, in dem wir richtig sind. Dieses Gefühl kann in einer VA blockiert werden, wenn Mutter und Vater "passend" dahingehend auf ein Kind einwirken. Das Ergebnis einer solchen Doppel-VA ist die permanente Sorge um das eigene Richtigsein, gekoppelt an die Idee, gezwungen zu sein, die eigene Existenzberechtigung erst noch nachweisen zu müssen ("noch nicht richtig") oder zu tarnen, dass gewähnt wird eigentlich sowieso nicht richtig zu sein. Fehler müssen entschuldet werden, gut-Dastehen wird zum Lebensziel, oder es wird über das Nützlichkeits-Syndrom (nach dem Motto: "Wenn du schon mal da bist, kannst du dich auch nützlich machen"; siehe auch Noosomatik Bd.V 8.7.5.5./S.349) Zuwendung erarbeitet.

Die Identifizierung der Sache (des Tuns, der Handlung) mit der Person (dem Täter, dem Handelnden) baut einen Begründungszusammenhang, eine Kausalsynthese (wenn..., dann...; ...; weil...), die Antwort auf die Schuldfrage geben soll, weshalb jemand noch nicht oder sowieso nicht richtig sei. Diese Kausalsynthese ist es also, die die Unabhängigkeit von Tatbeständen eines Sachverhaltes, der beschrieben werden soll, in Abhängigkeit zur Selbstvorstellung umwandelt und damit eine Beschreibung verhindert. Mein Tun, meine Tat, ist ein Tatbestand, der mit anderen Tatbeständen zusammen einen Sachverhalt bildet - außerhab von mir. Meine Person selbst ist, für sich genommen, kein Tatbestand, sondern ein Sachverhalt, ein höchst komplizierter sicherlich, allemal mehr als mein Tun und bestimmt nicht identisch mit dem Zusammenhang meiner Tat.

Menschen die sich hier auf einen Tatbestand reduzieren, indem sie sich mit einer Tat (Sache) identifizieren, machen sich selbst zur Sache, zu einer Ware, und bildet darin nicht nur ihre VA ab, sondern auch die Vorstellungen ihrer Erzieher/innen. Diese Kausalsynthese ist kein psychologisches Problem; sie ist ein Produkt des familiären Glaubensbekenntnisses, also ein theologisches Problem. Sie reicht in die Dimension des Sinns, die ja die religiöse ist. Die Kausalsynthese antwortet auf die Frage "Wer ist dein Gott?" eindeutig mit "Vater" bzw. "Mutter". Sie verwehrt den Einlaß in die Weite der Widerfahrnisse von "leben". Nach einer solchen VA wird dem Kind verwehrt, sich so in das "leben" einzulassen, dass es erleben kann, vom "leben" gemeint ("ge-lebt") und eben deshalb geliebt und liebens-würdig zu sein.

Diese VA-Erfahrungen machen sich in jener geistigen "Arbeit" bemerkbar, die darin besteht, Wissen ggf. eben nicht hinzuzuschalten; also doch noch einmal zu "überlegen" (grübeln), an anderes zu denken (sorgen), um dem Unterbewussten den Raum zu geben, überprüfen zu können, ob zu dieser oder jener Entscheidung ein Ja von Vater und/oder Mutter zu erlangen sein könne. Wir gedenken unserer VA häufig mit dem Tenor "schließlich habe ich sie ja überlebt" (mit dem Ziel: So schlimm kann es also nicht gewesen sein), allerdings ohne an das Wunder dieses Übelebthabens zu denken!

Dieser (auch dem Bewusstsein zugängliche!) Vorgang geschieht genau dann, wenn "leben" sich so zeigt, dass es, uns öffnend, Wege für Neues zeigt. Dies wird dann als Ausweglosigkeit gedacht, da die Erziehungserfahrung aus den ersten acht Jahren nach der Geburt kein Muster für den Umgang mit diesem Neuen zur Verfügung stellt. Diese gedachte Ausweglosigkeit lässt sich geradezu "spielend" mit dem Sowieso-Fatalismus verbinden. Dabei wird übersehen, dass sich selbst das Unrecht zugefügt wird, unter dem als Kind gelitten wurde.

Wir sind nicht in der Lage, unsere Verwundung (VA) zu verstehen. Wir können ein Wissen über unsere VA erlangen, das wir jedoch nicht erfühlen können. Wir können nicht verstehen, nachempfinden, erfühlen, was es heißt, ein Baby nicht zu wollen, oder es zu quälen, ihm Schmerzen zuzufügen. Wir können nicht verstehen, nachempfinden, erfühlen, weshalb ein Mensch andere quält oder umbringt, in einem KZ arbeiten kann usw. Wir können es nicht verstehen; doch wir können wissen, dass es das gibt.

Die Gehirnphysiologie lehrt uns, dass wir zentral vom Bewusstsein des Geistes keinen Zugriff auf das Frontalhirn haben. Wir können nur seine Inhalte über die Auswirkungen erschließen. Jedoch das können wir!

Wäre es anders, könnten Menschen ihre eigene VA reproduzieren: Kein Mensch hätte dann das erste Jahr nach seiner Geburt überlebt; es gäbe keine Menschen mehr.

Und: Wir wären nicht in der Lage, sofort und schnell auf Gefahren zu reagieren; wenn wir z.B. vor einem Säbelzahntiger stünden, oder vor einem Wolf, oder vor sonst einer tödlichen Bedrohung, oder in einer Gefahrensituation uns befänden. müssten wir erst über geistige bewusste Prozesse entscheiden, wären wir viel zu langsam. Doch wo haben wir Menschen die Rettungsmechanismen gelernt? Ein Eskimo sicherlich nicht bei einem Tiger; und wir nicht bei einem Löwen usw. Wir haben diese Überlebensmechanismen von unseren Erziehern gelernt: in der VA! Insofern erweist sich eine VA auch hierin als sinnvoll. Doch wir reden jetzt nicht von einem "gewissen" Maß, wir sprechen von den Folgen eines "Übermaßes". Um dieses zu überwinden, haben wir auch den (verbliebenen) "gesunden" Menschenverstand.

Wer das Nicht-verstehen-können einer Aggression zum Anlaß nimmt für den Gedanken, es gäbe sie dann auch nicht, oder sie wäre nicht so schlimm, unterliegt einer gefährlich naiven Selbsteinschätzung: er wird zum Mittäter, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen!

Wenn wir das Wissen haben über aggressive, mörderische Tendenzen, die wir nicht verstehen können, dann haben wir dieses Wissen. Und das können wir ebenfalls wissen. Dieses Wissen über das Wissen können wir jedoch fühlen, empfinden, verstehen; darin sind wir uns in unserer eigenen Menschlichkeit erlebbar.

Weshalb erheben wir den Anspruch, dass es jene aggressiven Tendenzen, die wir bei anderen Familien manchmal sehr leicht beobachten können, in unserer Herkunftsfamilie nicht gegeben habe?

Es ist zu beobachten, dass Analysand(inn)en schnell und auch ganz gern jene VA-Tendenzen ihrer Erzieher ihnen gegenüber akzeptieren, die deren unterbewussten Systeme entspringen. Hier ist die Solidarität der Verwundeten spürbar.

Und hierin wird die Solidarität der Verwunder erkennbar:

Jene VA-Tendenzen, die mit Absicht von den schädigenden Erziehern praktiziert worden sind, werden entweder gar nicht erst geglaubt oder verniedlicht. "Das sehe ich nicht so" bzw. "Sie übertreiben, die haben das eben nicht besser gewusst" sind die dazugehörigen stereotypen Kommentare.

 2 Beispiele:

 

    A) Jemand erzählt ein Erlebnis, um zu zeigen, wie freundlich der Vater gewesen sei: er hat im Winter einen Schlitten hinter das Moped gebunden und ist mit dem Kind auf dem Schlitten losgefahren.

    Mein Hinweis, dass es sich dabei um ein doppelt riskantes Unterfangen handelt (Unfallgefahr und das Einatmen der Auspuffgase mit dem Auspuff unmittelbar vor sich), wurde mit dem Gedanken beantwortet: "Da hat er sich sicherlich keine Gedanken darüber gemacht". Damit erhalte ich die nächste Information über die Vater-VA: Der Vater hat sich tatsächlich überhaupt keine Gedanken über sein Kind gemacht, es war ihm egal, er hat es übersehen, indem er sich in eine gedachte Vaterrolle begeben und sich nur noch als "toller" Vater gesehen hat.

    B) Jemand stellt seinen Vater als Lebensretter dar: Beim Versuch, Schnee von dem Geländer vor dem Haus abzulecken, sei die Zunge angefroren; der Vater habe das Kind losgerissen und in der Wohnstube dann auf den Schoß gesetzt und eine Geschichte vorgelesen. Mein Hinweis, dass es möglicherweise auch eine weitaus weniger sadistische Möglichkeit gibt, dem Kind zu helfen, wurde beantwortet mit "Ja, aber das Vorlesen..." Und was? "Wilhelm Busch". Der grausame, tödliche Ausgang der Geschichte von Max und Moritz wurde assoziiert und sofort verdrängt, die Assoziation ist nur noch über den Autor verhanden, der ja auch anderes geschrieben hat.

Jede Verteidung der Erzieher belastet sie noch mehr. Das ist für viele "selt-sam": Wer mit seinen Eltern liebevoll umgehen möchte, nehme die Wahrheit an und sage "So war es. Punkt." Wenn jemand seine Eltern be-lasten, deren Tun über Verniedlichungen ausbeuten will, um ähnliches selbst tun zu können, der verteidige sie. Letzteres eignet sich ganz besonders zum Aufbau eines eigenen Heiligenscheines. Eine Verteidigung der Erzieher, die durch analytische Deutungen gar nicht angeklagt werden, zeigt auch die Tendenz, die Analyse deshalb zu machen, um sich so zu ver-ändern, dass man von ihnen dann doch akzeptiert werde:

Analyse als dekoratives Verschönerungsinstrument oder Analyse als Verbesserung des eigenen Angebots (Ware!) an die Eltern - beide Ideen ver-stellen den Blick auf die Möglichkeiten eines neuen Umgangs mit "leben", sie verfeinern die VA-Tendenzen der Erzieher und lasten ihnen mehr an, als in Wahrheit geschehen ist. Dies hat dann, wenn es entdeckt wird, den Vorteil, das System mit dem Sowieso-Fatalismus wieder schließen zu können: "Siehst du, ich bin wirklich so schlimm" oder "Ich bin ja schlimmer als meine Eltern".

Fatalismus und Zweifel bauen die Schuldfrage, die jede Erkenntnis blockiert. Das Schielen auf mögliche Anerkennung außen verweigert die neue Raumorientierung und belässt im Bisjetzigen. Not-falls kann die Schuldfrage subjektiv sogar noch mit Wissen um die eigene VA geklärt werden ("das liegt ja an meiner Verwundung").

Solange sich jemand mit seinen aversiven Verhaltensweisen innerhalb des geltenden Rechts bewegt, haben wir es doch bei unserem Umgang nicht mit einem wirklichen Problem zu tun. Der Geltungsbereich des Grundgesetzes hört genauso wenig hinter dieser Tür auf wie vor der eigenen Haustür. Dazu wissen wir auch, dass unsere Physiologie auf irrtümliche Tendenzen bestens eingerichtet ist. Das eigentliche Problem ist der Selbstbetrug und damit der Betrug an anderen, die Verrätselung und die Verdrängung von Wissen über unser Tun, das einem schleichenden Selbstmord zu vergleichen ist. Wir verdrängen absichtsvoll in dem Maße, wie wir die Absichten unserer Eltern nicht als solche sehen und wahrhaben wollen.

Die Selbstdeutung der eigenen VA als persönliche Schuld lässt noch den Gedanken zu, durch eigenes Verhalten diese Schuld zu tilgen. Doch unabhängig von dieser Fehldeutung: wer wäre denn in der Lage, in der Gegenwart etwas zu tun, was die Vergangenheit ändert (also durch eine sogenannte Tilgung die Schuld aus der Vergangenheit zu streichen)? Hier wird erst recht deutlich, wie jede Schuldfrage Erkenntnisse blockiert: die Schuldfrage beschäftigt sich stets mit der Vergangenheit, die immer wieder in die Gegenwart eingebracht wird und so die Öffnung für eine Zukunft, die Öffnung für logische Folgen verschließt. Einsicht unterbleibt.

Die Selbstdeutung der eigenen VA als Makel äußert sich in ihrer Endgültigkeit als Sowieso-Fatalismus, Einsicht wird durch Vorausurteile ersetzt, die innere Starre als Standhaftigkeit gelobt.

Einsicht heißt auch Annahme eines konkreten Inhaltes. Wir haben in unserer Kindheit gelernt, die bloße Zuwendung bereits als Hingabe zu sehen, der Inhalt ist ausgeblieben. So kommt es, dass wir Einsicht mit Ansicht verwechseln können. Doch auf dem Weg, sich selbst bekannt zu werden, die durch VA entstandene Selbstentfremdung aufzuheben, erscheint uns das ehemals Fremde plötzlich als bekannt und das ehemals Bekannte als fremd. Dies ehemals Fremde als das Eigene zu er-leben, ist Folge von Einsicht.

Bei dieser Bewegung zu uns selbst - auf diesem Weg, uns in unserem Richtigsein er-fühlen zu können, spüren wir unsere Einzigartigkeit und deren heilsame Kehrseite: die Einsamkeit. Das ist ein wunderbares Wort - wie wundersam und heilsam. Es drückt das Erfühlen des Zusammenhangs (Eins-heit) von Einheit und Sinn aus. Doch wir haben gelernt, die positive Erfahrung mit der Einsamkeit zu überfärben mit den Wörtern Alleingelassensein und Verlassensein. Mit sich allein sein - das ist ein Gedanke, der bei vielen regelrecht Panik auslöst: Im Sinne der VA ist es die elterliche Regel und das elterliche Recht, den Raum des Kindes zu begrenzen und in die Abhängigkeit von Versorgung zu bringen. Die Sorge um die Versorgung, dieBefürchtung des Versorgungsentzugs sitzt im Frontalhirn wie ein tödlicher Stachel und weckt die Panik noch beim Erwachsenen, sobald entsprechende unterbewusste Assoziationen auftauchen.

Doch nur wer diesen Weg bis zu sich selbst und bis in die Erfahrung von Einsamkeit gemacht hat, wird er-leben, dass wir genau in dem Augenblick des Ankommens bei uns selbst ganz und gar aufbruchsbereit sind, fähig, in anderen Relationen einen Inhalt zu entdecken, fähig zu Mut und Umgang in neuen Räumen der Widerfahrnisse von "leben". Und dabei erfahren wir, dass wir auf dem Weg zu uns bereits bei uns sind, und dass wir im Beiunssein schon offen sind für andere, schon in Bewegung. Analyse verbessert keinen Menschen, doch durch sie erlangtes Wissen ist anwendbar und führt zu ganz und gar eigenen Erfahrungen, die nur sich selbst und den eigenen Entscheidungen abgerungen werden kann. In der Relation zu uns sind wir in der Lage, Relationen nach draußen und von draußen nach drinnen inhaltlich erleben zu können.

7. Eine durch die Verwundung (VA) erfahrene Reduzierung der Lebensäußerungen eines Kindes auf die erwünschten oder reglementierten Formen lehrt jedes heranwachsende Kind, auch auf die Mimik und Gestik der Erzieher zu achten; auf das, was sie sagen und auf das, was sie nicht sagen, jedoch nonverbal zum Ausdruck bringen. Gerade dies als Konkretionen dessen zu akzeptieren, was offensichtlich unsagbar ist. Dies trifft beim Kind auf "Bekanntes", nämlich auf die un-sagbaren Impulse in der Perinatalzeit, in der eine Verbalisierung noch nicht möglich ist. Auf diese Weise wird das Verrätseln als ein normaler Bestandteil von Kommunikation akzeptiert. Das Kind lernt nun, sich ein Gedankengebäude zu bauen, in dem diese ungesagten Impulse Raum gewinnen können. Das ist zum Glück die Möglichkeit, sie später einmal benennen zu können, wenn sie bewusst bearbeitet werden.

Das Selbst-Verständnis des Kindes wird reduziert auf das Familien-Verständnis, auf das, was in der Familie verstehbar und gültig ist. Diese Reduzierung (vom Kind als Konkretion gedacht) bedeutet jedoch die Negierung des Selbst des Kindes. Es erlangt eine Vor-stellung, die es als das Ganze, nämlich als Selbst-Vorstellung, selbst-verständlich übernimmt. Gleichzeitig lernt das Kind, sich nur dann auf eine Sache einzulassen, wenn diese von den Eltern nicht negiert und/oder ausdrücklich bejaht wird.

Andernfalls droht doch stets die Gefahr, wieder einmal für etwas bestraft zu werden, von dem das Kind vorher gar nicht wusste, dass es verboten ist. Viele Lernerfolge erzielen Eltern dadurch, dass sie erst im Nachhinein sagen, was das Kind hätte vorher wissen müssen, nämlich das, was verboten ist. Hierdurch entsteht der Effekt, vor Neuem erst einmal zu zögern, zu grübeln, ob dies Neue die Zustimmung mindestens eines Elternteils finden werde.

Sorge entsteht also genau dort, wo entweder Spaß an etwas vorhanden ist, was aber verboten sein könnte, und/oder wo die Sache hinter der Sache unklar ist, nämlich der Verhaltens- oder Strafzusammenhang als Sache hinter der Sache. Dadurch zeigt sich die Fähigkeit des Menschen, nicht in die Zukunft sehen zu brauchen, als Defizit. In dieses Defizit wird die religiöse Dimension hineingedacht: die Schuldfrage erzwingt die Notwendigkeit, sich den Kopf der Mutter "zerbrechen" zu müssen, wobei die Fähigkeit des Menschen, die Gedanken anderer nicht lesen zu sollen, als weiteres Defizit erlebt wird, obwohl wir selbst froh darüber sind, dass die eigenen Gedanken nicht gelesen werden können - wir also ein Wissen darum haben, dass das Gedankenlesen nicht so recht funktioniert.

Zwei Grundfähigkeiten des Menschen, nicht in die Zukunft schauen zu brauchen und Gedanken anderer nicht lesen zu sollen, werden vom Kind als Defizit erfahren. Dadurch werden diese wesentlichen Anteile seiner Menschlichkeit ebenso als Defizit und Schuld gedeutet, wie auch seine Fähigkeit zur Angewiesenheit. Hierzu gesellt sich nun das familiäre Glaubensbekenntnis, das zur privaten Theologie ausgebaut wird, und die familiäre Gemeinschaftskunde.

Die Vaterschädigungen führen zu zwei Phänomenen: dem Gedanken des Noch-nicht bzw. zum Sowieso-Fatalismus. In beiden Ideen steckt das Warten; die erste zögert noch mit dem Warten, die andere wartet bereits energisch. Oder: Beiden haben die Väter eine Fahrkarte verkauft für eine stillgelegte Bahnstrecke.

Stellen wir uns diese stillgelegte Bahnstrecke in Nevada vor mit der sengenden Sonne (Mutter-Symbol), mitten in der Wüste (VA-Analogie-Symbol). Da stehen wir. Und warten. Dann kommt einer und sagt: "Da kommt kein Zug". So sagen wir: "Aber da fuhr doch früher einer!". Sagt der eine "Aber es kommt keiner mehr", antworten wir "Aber, da könnte doch noch einer kommen". Und sollte dann wider Erwarten ein Zug kommen, ein Museumszug, dann gilt unsere Fahrkarte nicht - denn die gilt ja nur für eine stillgelegte Bahnstrecke. Wir sagen dann "Ich wollte ja sowieso nicht mitfahren!". "Nee - wa' da" noch was?

Von einem Vater irgendwie gemeint und zum Warten verurteilt; die Wartezeit ist nach bestimmten Regeln auszufüllen, der Lohn für die Einhaltung ist jedoch ungewiss - das ist eine Art Theologie. Auch wenn diese aus der VA-Erfahrung kommt, ist sie dennoch "Theologie" und nicht plötzlich Psychologie. Nennen wir Mutter eine Göttin oder Vater einen Gott, so sehen wir Gott wie Vater und/oder Mutter an. Das "Noch-nicht" der VA ist ein theologisches Phänomen, das uns den Zugang zum Sinn, zur religiösen Dimension des Menschen versperrt.

Das "Noch-nicht" dieser Theologie verbindet sich assoziativ mit unserer Vater-VA. Da es aus einer solchen entstanden ist, schließt sich das System. Unsere VA kann im Sinne der "Erbsünde" als Schuld angesehen werden oder gar als Makel. Diese Theologie bringt ideal unsere menschlichen Erfahrungen mythologisch so auf den Begriff, dass die Nichtanwendung des verbliebenen gesunden Menschenverstandes auch für andere Denkbereiche salonfähig gemacht wird: Mystik und Mythos sind wieder "in". Worin besteht der Unterschied zwischen den Menschen im Jahre 1994 vor unserer Zeitrechnung und den Menschen heute? Sollte er wirklich nur im anderen Baustil und in dem gewachsenen Tötungspotential der Waffen zu suchen sein? Ob ein goldenes Kalb angebetet wird oder Horoskope gelesen; ob aus dem Vogelflug die Zukunft lesen werden will oder in Tarot-Karten, ob der französische Geistliche die französchen Waffen und der deutsche die deutschen segnet oder ob die Priester damals zum heiligen Krieg riefen - wo ist denn der Unterschied?

Das familiäre Glaubensbekenntnis muss sich so zu einer privaten Theologie entwickeln, die mit möglichst vielen Vorstellungen der anderen Menschen zusammenpaßt. Dazu eignet sich die "Noch-nicht"-Theologie. Sie gibt dem Menschen formal Antwort und vertröstet inhaltlich analog der Vater-VA auf irgendwann. Die Lücken werden durch Dogmen geschlossen. Das Zusammenfügen von individuellen Projektionen der Erzieher in eine Gottesvorstellung wird zu einem persönlich zu leistenden Auftrag des Individuums. Die Unlösbarkeit dieser Aufgabe ist intendiert, die sensative Begleitstimmung (Sorge, Angst, Furcht und Zittern) ist erwünscht. Diese Sicherung der Arbeitsplätze sogenannten Bodenpersonals überlebt jede kulturelle Veränderung, da ihr Einpassungsprinzip die Variabilität menschlicher Einpassungsfähigkeit abbildet.

 

Als Erwachsene(r) lassen sich die Menschen nach solchen VA-Erfahrungen und mit diesem "theologischen" Ballast nur noch auf ein Engagement der Sache nach ein (Engagement), wenn die Sache hinter der Sache überschaubar ("vorhersehbar"!) ist: Gemeinschaft wird als Effekt unterbunden.

Soziologisch wirkt sich der Sachverhalt der Mutterschädigung so aus, dass der Mensch nach der vorlogischen Phase nur noch dort sich der Sache nach einlässt, wo die fehlende Ausweglosigkeit (eine Öffnung in die Zukunft ohne Vorhersehbarkeit) durch eine von Mutter gesetzte Reglementierung aufgehoben ist und damit eine innere Beteiligung ausgeschlossen werden kann!

Vom Vater ausdrücklich erlaubte oder angeordnete Engagements setzen diesen Sachverhalt bereits voraus!

Per effectum macht nur das Spaß, was mit Hilfe der thalamischen Be-friedung die Wünsche beider Elternteile zu erfüllen in der Lage ist. Sollte wider bess'res Erziehungswissen etwas Spaß gemacht haben, was bewusst und/oder unterbewusst gegen die Anordnung mindestens eines Elternteils verstoßen hat, wird über Sorge (und eine erhöhte Sympathikusaktivität), mindestens durch ein schlechtes Gewissen, die gedachte, evtl. mögliche Strafe vorweggenommen. Das hat den Vorteil, die vermeintliche Untat entweder wiederholen zu dürfen oder sie als ungeschehen zu wähnen. Ggf. sind wir außerdem in der Lage, uns selbst härter zu bestrafen, als es die um unser Wohlergehen besorgten Eltern tun würden.

Das allgemeine Glaubensbekenntnis, das sich im Umgang als Folge des Lebensstils individuell niederschlägt, bezieht sich stets erst einmal auf die Versorgungslage: "Ich glaube, dass meine Eltern mich gemacht haben und für mich sorgen"; dann auf die Schuldfrage: "Ich glaube, dass meine Eltern mein Bestes wollen und deswegen allein wissen, was gut für mich ist". Als dritter Glaubensartikel wird die Familie als oberste Gemeinschaft dogmatisiert: "Ich glaube an meine Familie, die dazu da ist, dass wir einander in Not helfen. Ich soll meine Kinder ihren Großeltern und deren Verwöhnung nicht entziehen. Ich soll wähnen, dass sie mit meinen Kindern besser umgehen. Ich soll den Verband der Familie wahren, damit meine Selbständigkeit nicht in die von meinen Eltern als egoistisch gedeutete Selbstannahme umschlägt."

Die sakramentalen Handlungen können sich in den unterschiedlichsten Ausformungen zeigen. Die allgemeinen Inhalte sind jedoch die gleichen: Sklavendienste ("hol' doch mal eben..."); Übernahme von Pflichten ("du könntest eigentlich...") ohne Rechte ("Kinder, die was wollen..."); Beugungen des Rückgrats und damit die Beendigung des aufrechten Ganges ("Bravheitsversprecher", in der Medizin als rheumatischer Formenkreis bekannt) und fortschreitende Senilität ("Das war schon immer so").

Die Weitergabe dieser seit Jahrtausenden erfolgreichen Erziehungspraxis ("mir hat das auch nicht geschadet") kann auch unter dem Deckmantel des Gegenteils erfolgen ("Ich mache das alles anders als meine Eltern"). Der Erhalt der Ideologie ("Du sollst es mal besser haben") und des Idealismus ("Das habe ich doch alles für dich getan") wird religiös verbrämt mit der These des irdischen Jammertals ("So ist das Leben"). Gotteslästerer werden dann die genannt, die meinen, es gäbe ein lebenswertes "leben" vor dem Tode.

Wo soll denn da noch Gemeinschaft entstehen?

Hierzu ein relativ "modernes" Beispiel: Der evangelische Theologieprofessor Pannenberg in München arbeitet in seinem Buch "Christologie" heraus, dass das Dogma von der Jungfrauengeburt Jesu falsch ist. Nun, es kommt doch im Glaubensbekenntnis vor und wird noch heute so bekannt? Pannenberg sagt nun, dass dies Dogma bekannt werden könne "ohne Verletzung der Wahrhaftigkeit. Der Nachvollzug eines kirchlichen Bekenntnisses ist ja etwas anderes als die Glaubensaussage des einzelnen" (Wolfhard Pannenberg: Grundzüge der Christologie, 6.Aufl.,1982, S.150). In der Gemeinschaft darf also gelogen werden. "Kirche" steht für Gemeinschaft als "Fremdwort".

Wir haben in der VA gelernt, den Einlaß in uns selbst uns zu verweigern, per effectum ist das genuine Gefühl der Gerechtigkeit blockiert. Und das ist ein theologisches Problem.

Das genuine Gefühl der Gerechtigkeit ist erst dann erfühlbar, wenn die Animation "Raum" als Begegnung in einer Gemeinschaft über ihre Grenze geistig erfaßbar wird. Die Grenze des anderen und meine Grenze berühren sich. Hierdurch wird niemand unzulässig begrenzt, vielmehr ist erst darüber der Raum zu er-fahren (was wäre ein Raum ohne Grenze?).

Hier liegt aber auch die Möglichkeit, mit Hilfe einer geistigen Verweigerung (z.B. durch Nichthinzuschalten von Wissen) Gemeinschaft zu torpedieren, um darüber anderen den Raum für Gerechtigkeit zu nehmen.

Doch: Diese Blockaden gegenüber Sinnerfahrungen dienen immer der Verheimlichung der eigenen Liebesfähigkeit, die in der VA das Etikett der schuldhaften Empfindung erhalten hat. Sie sind in der Regel Folgen einer Vater-VA, der man meint, entgangen zu sein. Sie kann also auch dann auftreten, wenn in der Kindheit kein Vater anwesend gewesen ist.

Wahrheit erlangen wir im Bewusstsein über Informationen, also Außenimpulse, die in der Lage sind, die Weise der vom unterbewussten System gesteuerten Lebensgestaltung zu erklären: Wahrheit erklärt sich selbst und "löst" Hingabe. Wer sich von dieser Wahrheit entfernt, landet in der Sensatio Trauer durch Verweigerung der Klarheit. Der Entfernende (sprich der Trauernde) meint, eine andere Erklärung zu brauchen und möchte die Wirklichkeit draußen und auch drinnen an seine Vorstellungen anpassen, ohne zu berücksichtigen, dass eben diese Vor-Stellungen bereits von den Erziehern übernommen worden sind und den Blick auf die Wirklichkeit ver-stellen.

Wir können wissen, dass VA keine persönliche Schuld, kein Makel ist. Wer sich von dieser Wahrheit entfernt, schaltet mit bewusster Absicht bereits als irrtümlich enttarnte Ideen in seinem Denken hinzu und verdrängt absichtsvoll das Wissen um die Würde des Menschseins: er verweigert sich der Erfahrung von Heil wider besseres Wissen!

Wer nun sein tatsächlich vorhandenes inneres Vermögen nicht dazu fügen möchte, sich selbst Frucht zu sein, vergrübelt sein "wollen", regrediert auf eine perinatale Versorgungsstufe und deutet logische Folgen als Zwang. Dies zielt darauf, Zusammenhänge von Relationen so zu verwerten, dass anderen die Verantwortung für eigenes Handeln übertragen werden soll. Diese Kombination von Versorgungslage und Schuldfrage will andere zur Sorge bewegen, deren Lernfähigkeit blockieren und die Sklaverei wieder einführen nach dem Motto: Der andere ist nur richtig, wenn er meine Antworten übernimmt.

Dabei ist der Sorger bzw. Nothelfer austauschbar, die Tat jedoch nicht. Das heißt: Wer für einen anderen dessen Antwort übernimmt und agiert, lässt sich auf eine Funktion reduzieren. Und dieser Funktion wird dann nach Vollzug als Tatereignis der "Charakter" einer sinngebenden Instanz zugedacht. Eine Tat als pseudosinngende Instanz bedarf natürlich eines Täters; doch sie wird erst dann personalisiert, wenn sie vollbracht und die Schuldfrage geklärt ist.

Widerfahrnis von "lieben" öffnet und effiziert die Gemeinschaft, da die Selbstannahme im genuinen Gefühl der Gerechtigkeit nach Hingabe drängt, ganz ohne Kraftanstrengung und ganz ohne Schmerz.

Gemeinschaft ist Effekt der Orientierung und des Engagements von Individuen an gemeinsam erfühl- und erfüllbaren Inhalten im gegenseitigen Respekt vor der Andersartigkeit und der Öffnung gegenüber Möglichkeiten außerhalb des Bisjetzigen.

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